Impressum Kellerbergverein Höchstadt Fränkische Brauereien Links Literaturverzeichnis Datenschutzerklärung

Vier naschende Fliegen

Essen und Trinken, das war schon immer ein beliebtes Feld für Betrüger. Im Altertum griff man daher zu drakonischen Strafen: Auspeitschen und selbst das Hängen von Lebensmittelfälschern und Weinpantschern brachten aber kaum Erfolg, es wurde weiter manipuliert. Dank der Entwicklung der Chemie gelang es erst ab dem 19. Jahrhundert, unredlichen Geschäftemachern wirksam und schnell auf die Spur zu kommen.

NÜRNBERG – Im 19. Jahrhundert beginnt die industrielle Lebensmittelverarbeitung. Neue Konservierungsmethoden und Nahrungsmitteltransporte per Eisenbahn über weite Strecken beseitigten erstmals für breite Bevölkerungsschichten die Angst vor Hungersnöten. Gleichzeitig verringern sich aber die Möglichkeiten direkter Kontrolle.

Auch dadurch nehmen Lebensmittelfälschungen sehr zu. Dank moderner Wissenschaft konnten sie allerdings jetzt nachgewiesen werden: Gips und Kreide wurden Zucker und Mehl beigemischt, andere Nahrungsmittel mit Abfällen der Seifensiederei gestreckt.

Ein Blick ins Ausland beweist, dass es andernorts nicht anders war: es wurde gepantscht und gefälscht, dass es (k)eine Freude war. In England entdeckt 1820 Frederick Accum Kupfer in Sülze, Blausäure in Wein und Tonerde im Brot. Eine Preiskampagne der Hersteller zwingt den Wissenschaftler, das Land zu verlassen. Eine Karikatur zeigt ein Kind im Laden: „Mama bittet sie, mir 100g Tee zu geben, um damit die Mäuse zu töten und 50g Schokolade, um die Schaben zu beseitigen.“

Selbst das Gift war gefälscht

Um 1900 erzählte man sich die Geschichte von den vier Fliegen, die sich in eine Speisekammer eingeschlichen hatten und glaubten, sich einmal ordentlich satt essen zu können. Die erste naschte vom Mehl und starb, denn das Mehl war mit Gips verfälscht. Die Zweite ging an den Zucker und krepierte, denn der Zucker enthielt Bleisalz. Die Dritte trank vom Fruchtsaft und büßte dies mit dem Tod, denn der Saft war mit Anilin gefärbt. Die Vierte, das Elend vor Augen, wollte nicht länger leben, stürzte sich auf das eingelegte Fliegengift – und überlebte, denn auch das war gefälscht.

Betroffen von diesen kriminellen Machenschaften war vor allem die Milch. In ihr fanden Lebensmittelkontrolleure alle möglichen Stoffe wie Mehl, Stärke, Hammelfett, Hirn, Gummilösung und selbst Seife – nur kaum noch Milch. Damit diese „Milch“ wenigstens nach Kühen roch, soll man ihr Kuhmist beigegeben haben. Beispielsweise wurde in den „goldenen“ zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts für die Herstellung von Kaffee Hag der Rohkaffee mit Äther Alkohol, Aceton Benzol, Tetrachlorkohlenstoff und Chloroform in Wasserdampf extrahiert. Dadurch sank der Koffeingehalt auf 0,05 Prozent. Die chemischen Lösungsmittel, besonders das Benzol, blieben am Kaffee haften. Nun ist Benzol leider ein Nervengift, und so kam man damals mit dem Schonkaffee vom Regen in die Traufe.

Derartige Anekdoten, so schön sie auch sind, zeigen, welches Ausmaß das Problem hatte und wie wichtig es war, dass Lebensmittel endlich unter staatliche Kontrolle gestellt wurden.

Neue Grenzwertzahlen

Das erste reichseinheitliche Nahrungsmittelgesetz für das Deutsche Reich wird 1897 verabschiedet. Das Weingesetz von 1892 lässt „analysefeste“ Weine entstehen: bis zu den neu eingeführten Grenzwerten wurde heraufgezuckert. Falsche Etiketten werden zunächst nicht bestraft, 1927 wird die irreführende Bezeichnung von Lebensmittel verboten. Das 1516 von Herzog Wilhelm IV erlassene Reinheitsgebot für das Bayerische Grundnahrungsmittel ist und war allerdings eindeutig und lässt keine Ab- oder Aufweichung zu.

Seit der Reform von 1958 sind Zusatzstoffe nur zugelassen, wenn sie ausdrücklich auf Positivlisten erlaubt werden.

Jörg von Forster in den Nürnberger Nachrichten